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Weiße Männer sind Geisterfahrer der Nation

Von Michel de Montaigne stammt der Satz, dass es doch erlaubt sein müsse, von einem Dieb zu sagen, dass er ein schönes Bein habe. Heute sagen viele: Dieb ist Dieb – und meist ist er ein Mann. Die feministische Schriftstellerin Doris Lessing beklagte schon vor Jahren, dass die Abwertung alles Männlichen so sehr Teil der westlichen Kultur geworden ist, dass sie kaum noch wahrgenommen werde. Man hätte sich so lange eingeredet, dass Männer das Problem und Frauen die Lösung seien, dass es sich natürlich anfühle, ja dass man es tatsächlich glaubte. Tobias Haberl fügt hinzu: „Im Moment sind weiße Männer die Geisterfahrer der modernen Gesellschaft, über die alles gesagt werden darf – nur nichts Gutes.“ Der Literaturwissenschaftler Tobias Haberl schreibt für das „Süddeutsche Zeitung Magazin“. Sein letztes Buch „Die große Entzauberung – Vom trügerischen Glück des heutigen Menschen“ wurde ein Bestseller.

Jeder Mann ist ein möglicher Teufel

Verdächtig ist jeder, der weiß, heterosexuell, über vierzig und mit seiner Identität einigermaßen einverstanden ist. Problematisch wird es, wenn er beispielsweise Tweedsakkos trägt, Botho Strauß liest, in der Provinz lebt, CDU wählt und in die Kirche geht. Dann nämlich wird er verspottet, und zwar von denselben Menschen, die im Internet für Toleranz und Meinungsfreiheit eintreten. Tobias Haberl weiß: „Die meisten Männer sind weder glühende Feministen noch Frauenfeinde, sondern irgendwas dazwischen.“

Im Moment sind viele verunsichert, weil man sie mit fragwürdigen Geschlechtsgenossen in einen Topf wirft, als steckte in jedem Mann ein möglicher Teufel. Viele ältere Männer fühlen sich abgehängt in einer Arbeitswelt, die jünger und weiblicher zu werden versucht. Sie sind irritiert von einer digitalen Gegenwart, die sich so rasant verändert, dass sie sich überfordert und bedeutungslos vorkommen. Die Ära des Patriarchats stirbt vor sich hin, die Gesellschaften des Westens sind transparenter und vielfältiger geworden.

Die Gesellschaft steckt in einem angestrengten Kulturkampf

Trotzdem gibt es noch jede Menge zu tun. Tobias Haberl stellt fest: „Es wird Jahrzehnte dauern, bis die erkämpften Rechte Wirklichkeit werden und sämtliche Vorurteile gegen Frauen und Minderheiten aus unseren Köpfen verschwunden sind. Neue Formen von Macht, Verantwortung und Liebe werden entstehen, die wir uns noch gar nicht vorstellen können, auch neue Konflikte und Verteilungskämpfe.“ Wer weiß, vielleicht ist die Zukunft am Ende tatsächlich eine Verweichlichung.

Dann triumphiert das vermeintlich schwache Geschlecht über das vermeintlich starke. Aber noch ist diese Zeit nicht gekommen. Noch steckt die Gesellschaft in einem angestrengten Kulturkampf, der mit Verletzungen auf beiden Seiten einhergeht. Tobias Haberl erklärt: „Ich glaube nicht, dass wir uns als Gesellschaft weiterentwickeln, wenn wir ältere weiße Männer grundsätzlich als Mängelwesen demontieren.“ Man kann viel kaputt machen, wenn man für eine gute Sache ohne Empathie und Rücksicht auf Verluste kämpft. Quelle: „Der gekränkte Mann“ von Tobias Haberl

Von Hans Klumbies

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